Kult auf Spiekeroog

(22.05.2013) Eines vorweg: Spiekeroog ist Kult! Und zwar ohne Wenn und Aber.

Letztes Jahr zu Pfingsten war ich mal nicht dort und bekam zu hören wie legendär das Wetter war. Quasi wie immer, nur noch besser. Falls jede Gut-Wetter-Serie ihre Ausnahmen hat, dann dieses Jahr. Da nützt es auch nichts, wenn Andreas in Neuharlingersiel mit kurzer Hose aufschlägt. Ebenfalls nützt es nichts an der Ostmole slippen zu wollen, weil dort die Fahrzeugfähre auf der Drift schlummert. Also werden die Contender auf der anderen Hafenseite abgeladen. Damit liegt auch der Gepäckservice der Personenfähre in weiter Ferne, so dass wir die wasserdichten Kleidersäcke selber mitnehmen. Weil Tanja nicht mit rüber kommt und die Familienkutsche braucht, verladen wir den einen Trailer auf den anderen und parken das Gespann. Die Überfahrt bei 3 Bft. aus West ist ein Selbstgänger. Das Hinauftragen der Contender zur Hochwassergrenze mit nur zwei Personen ist ein wenig anspruchsvoller. Umso besser schmeckt das erste Inselbier. Sobald das Zelt steht ist man angekommen. Das Festland mit seinen Sorgen ist weit weg.

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Dieses Jahr meiden wir vorsorglich den „Blanken Hans“, damit ich das „Old Laramie“ kennen lernen kann. Der Ritt nach Westen wird von Nieselregen begleitet. Das „Laramie“ hat Ähnlichkeit mit einem Korral. Am Eingang die Tränke, daneben der Hufschmied, welcher Würstchen in Kohlestöckchen verwandeln kann, links ein halboffenes Tipi für die Künstler, rechts die Stallungen und in der Mitte tummelt sich die Herde im Nieselregen. Kleiner Tipp am Rande: Optimismus beim Packen ist kein guter Berater. So eine Mütze hätte nicht viel Platz eingenommen – jedenfalls weniger als die kurze Hose. Und so eine Mütze hätte den Kopf nicht nur warm, sondern auch trocken gehalten.

 

Das „Laramie“ wäre nichts ohne „Jonny Glut“. Die Herde vor dem Tipi scharrt bereits ungeduldig mit den Hufen während allerlei Gerätschaften im Tipi mit dem Weidezaun vernetzt werden. Offensichtlich ist man spät dran und das Wetter entspannt die Lage auch nicht gerade. Sobald 380 Volt anliegen, wird schon mal musiziert. Das Mischpult versucht dem irgendwie nachzukommen und tatsächlich wird die regional geprägte Darbietung mit jedem Versuch besser. Eines zwischendurch: Spiekeroog ist Kult! Ohne Mütze inspiziert man recht bald die Stallungen und wäre sicherlich auch noch auf ein Feuerwasser länger geblieben, wenn nicht irgend so einem Langohr die Runde Kaktus-Schnaps vom Tablett gerutscht wäre. Wer steht schon gerne mitten in Brandbeschleunigern?

 

Pfingstsonntag. Sollte ich etwa nicht das Zelt mit der Schallschutzisolierung eingepackt haben? Kitty von nebenan besteht darauf, dass ihr Bettnachbar seine Schuhe auszieht. Selbst um 02:00 Uhr früh kann ich es nur unterstützen, wenn sie dem Sittenverfall Einhalt gebietet. Apropos, um 04:00 kommt Django in den Hafen und lässt auszugsweise das Liedgut aus dem „Laramie“ noch mal Revue passieren. Der Volksmund weiß: Wasser trägt den Schall. Egal, keine vier Stunden später können wir uns auf dem Weg zum Frühstück bei ihm revanchieren. Das weiß Django sicherlich zu schätzen, falls er es zur Steuermannsbesprechung schaffen möchte. Was wird der Tag bringen? Keinen Regen zum Glück, dann 4 Starts von 10:30 bis 11:00 Uhr, 3 Runden für die Katamarane, 2 Runden für den Rest wozu auch die Trimarane zählen und 3 Bft. aus West.

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Wie jedes Jahr ist es notwendig die Seezeichen im Spiekerooger Priel ernst zu nehmen – insbesondere weil wir Ebbe haben und am Priel-Ausgang sich ein Knick nach links befindet. Links vor dem Linksknick steckt der erste sein Grundstück ab und wird die Regatta aus der ersten Reihe beobachten dürfen. Die beiden knapp voraus von uns haben mehr Glück und kommen wieder frei. Andreas und ich besprechen unsere Starttaktik: Gegenstrom aber Wind von achtern schreit förmlich nach einem Abfahren der Linie halbwinds auf Backbordbug um am Startschiff über die Linie zu gehen. Dann das ganze Startschiff und die Ankerkette entlang um danach rechts zur Sandbank im flachen Wasser den Gegenstrom auszusegeln. Das Problem könnten die Jollenkreuzer in unserem Start sein, welche die Regelkunde nicht immer beherzigen. Aber das wird man dann sehen. So eine Sammlung von Yachten bei einem Vorm-Wind-Start mit Yardstickwerten von 68-160 Punkten wird sich anders verhalten als 60 baugleiche Jollen an der Linie zur Startkreuz. Jetzt kurz zur Sandbank und den ersten Start beobachten. Und siehe da, eine Europe zeigt, dass unsere Starttaktik funktionieren kann und fährt einen guten Vorsprung heraus.

 

10 Min. später starten wir. Wie befürchtet kommt uns ein 30er Jollenkreuzer in die Quere und versaut das Timing. Dabei wäre es doch so einfach gewesen, wenn der Jollenkreuzer beim Startschiff nicht vierkant auf die Startlinie zugefahren wäre, sondern uns mit kleiner Kurskorrektur regelgerecht am Heck passiert hätte. Andreas ist noch knapp vorweg gekommen aber ich sehe eine Wand vor mir. Ob sich da nun Stahl oder nur Holz unter dem Lack befindet ist eigentlich egal bei der Wandstärke. Ich fahre ein Stück mit, bremse ein, um dann endlich hinter lang zu kommen ins flache Wasser. Das geht natürlich nicht ganz lautlos zu, so dass auch das Startschiff diese Situation in Erinnerung behält.

 

Andreas hat schon mal einen Vorsprung heraus gefahren. Er hat den Tiefgang auf 10 cm verringert, läuft dennoch auf und und ruft mir eine Warnung zu. Das nimmt die gesamte Flotte dankend an während ich beginne mein Schwertfall aus der Hand zu fahren. Langsam aber merklich hole ich auf. Anscheinend ist es von Vorteil das Schwert nicht zu hoch zu holen, weil man sonst mehr Abdrift hat und vielleicht noch Wirbel erzeugt. So sind wir wieder beisammen und sammeln ein paar aus dem Start vor uns ein. Irgendwie schaffe ich es in Lee unter Andreas hindurch zu fahren und gehe als erster um die Bahnmarke, eine grün-rot-grüne Stahltonne für das abzweigende Fahrwasser. Dabei ist Vorsicht geboten, weil die Tide auf die Tonne versetzt. Aber wer verschenkt schon gerne Platz?

 

Es folgt eine Kreuz Richtung Norden mit Streckbug auf Steuerbord während die Strömung mitläuft. Dabei nehme ich Andreas noch ein paar Meter ab, der etwas mit dem Material hadert, weil er nicht sein eigenes Boot fährt. Jetzt nur nicht zu weit rechts raus fahren wo die Strömung schwächer wird. Man erkennt die Stromkante an der Farbe der See, bzw. dem Schmodder auf dem Wasser und dem anderen Wellenbild. Der Holeschlag nach links darf nicht ins Feld der Dickschiffe vom 3ten und 4ten Start führen. Zwischendurch kommen noch ein paar Strandkatamarane vorm Wind unter Genacker durchgehalst, von denen nur die „XOZ“ so nett ist sich durch singende Schwerter anzukündigen.

 

Bald wird die „Boje 1“ umwendet und Kurs West genommen Richtung Langeoog zur „Boje 2“. Auch eine Kreuz aber mit dem langen Bein auf Backbord. Hierbei ist es wichtig die Kreuzschläge geschickt zwischen die Abdeckungen der Dickschiffe zu platzieren. Das klappt bei mir besser als bei Andreas was den Abstand nochmals vergrößert. Der Wind frischt etwas auf und man kann sich im Trapez richtig schön lang machen. Nach der „Boje 2“ geht es zurück nach Osten zum Startschiff, bzw. erst mal nach Süd-Ost unter Land gegen die Strömung. Noch 3 Schiffe vor mir. Etwas Smalltalk mit dem Jollenkreuzer. Noch 2 vor mir. Kompliment an die Europe für den hervorragenden Start. Nur noch das Kielboot mit dem lila Spinacker vor mir. Halse und anspitzen zur nächsten Bahnmarke, dem Pin-End der Start-Ziel-Linie. GER-222 lässt fünf Bootslängen Sicherheitsabstand zur Bahnmarke und halst in aller Ruhe. Die zweite Runde wird eingeläutet und wir sind gleichauf.

 

Auf dem Weg zur Sandbank bleiben wir zusammen. So ein großes, lila Tuch scheint seine Vorteile zu haben. Aber spätestens zur Leetonne muss der Lappen runter und ich kann vorne durch den verringerten Windschatten fahren. Die Kreuz zur „Boje 1“ gestaltet sich als taktisch einfach. Einziges Highlight ist eine leere Martiniflasche, die dort treibt. Aber welchen Weg zur „Boje 2“ einschlagen? Wo läuft die Strömung? Jetzt vielleicht nach links? Ne, besser ist das nicht. Andreas holt wieder auf. Also doch rechts wie es die Jollenkreuzer achteraus machen? Es ist nicht ganz einfach vorweg zu segeln, wenn man nur den Vergleich nach achtern hat. Und wo lang auf dem Rückweg von „Boje 2“ ins Ziel? Am besten auf direktem Weg und hier und da eine schöne Welle mitnehmen. Bevor der Gegenverkehr merklich zunimmt, überholen mich der F18 und Hobie Tiger, welche 20 min. später gestartet sind. Egal. Hauptsache Claas auf dem F20T kommt nicht ein zweites mal vorbei. Dagegen sind die entgegenkommenden Trimarane nicht ganz so fix, nehmen aber viel Platz weg auf dem Wasser. So begegnet man alten Bekannten – und auch der leeren Flasche. Ein Zeichen! Und zwar dafür, dass man im Gegenstrom segelt.

 

Nach 2 h und netto 18,5 sm bin ich im Ziel. Anlegen an der Sandbank und aus der traditionellen Regattaleitung-Spende-Bierkiste für Andreas und mich ein Bier öffnen. Das ist übrigens Kult! Nach Andreas dauert es etwas bis die Nächsten kommen. Ob der Vorsprung reichen wird? Die späteren Starts werden von dem auffrischenden Wind profitiert haben. Während wir die Zeiten stoppen spricht Yardstick zu uns: „Freut Euch nicht zu früh, der Sieger segelt noch.“

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Irgendwann findet das Strandleben ein Ende und wir kehren zurück auf die Insel. Dort werden die Duschen als der wärmste Platz von Spiekeroog gekürt. Was tun mit dem angebrochenen Tag? „Blanker Hans“ mal ganz anders: Milchkaffee und warme Küche statt dem nassen Tod zu begegnen. Schon ein komisches Gefühl bei Tage dort wieder hinaus zu gehen. Abends nochmal Kult in Form des „Seglerballs“. Bei der Preisverleihung drückt man mir den 1. Platz nach berechneter Zeit für Einrumpfboote in die Hand. Sehr geil! Weniger hübsch aber etwas nützlicher sind die Sachpreise, welche man über das Losglück erhält. Die Regattaleitung schickt den Skipper der „Pegasus“ zu uns, damit er sich für seine Wegerechtsverletzung beim Start nach WR 44.1 entlasten kann. Wären dafür nicht zwei Runden (Bier) notwendig gewesen? Egal. Wir sind zu sehr damit beschäftigt die jeweils verschiedenen Perspektiven noch mal darzulegen und zu bewerten. Spätestens um 02:00 sollten sich die verheirateten Männer von der Tanzfläche entfernen. Dann beginnt die Stunde der Wölfinnen und es rettet nur die Flucht – am besten gleich zum Zelt.

 

Der nächste Morgen fühlt sich trotz rechtzeitiger Flucht leicht nebelig und in der Körpermitte etwas flau an. Im Watt sieht es genauso aus: nebelig und flau. Aber es hilft nix. Geordnete Flucht. Jemand mit Motor schleppt uns durch den Priel von Spiekeroog, biegt draußen aber leider falsch ab. Sehr idyllisch so im Nebel ohne Wind. Beim nächsten Motorengeräusch winken wir mit der Schleppleine und bekommen von der „Moonshine“ einen Lift nach Neuharlingersiel. Dort im Priel weiß ein motorisierter Kreidefelsen Vorurteile zu bestätigen. Kleiner Tipp: Überhole beim Wellenreiten nicht die schleppende Yacht. Aber unser Schlepp bringt uns sicher bis vor die Slipbahn, kehrt um und fährt wieder raus. Wir sind sprachlos. Die „Moonshine“ ist nur für uns nach Neuharlingersiel rein gefahren. Na, wenn das nicht zum Kult wird! Das ist der feine Unterschied zwischen der Kieler Woche und den Seemännern auf der Nordsee. Nochmals vielen Dank! Die Herren von den Spiekeroog-Garagen sind auf Zack, schließen nur für mein Gespann das Tor auf und wollen nichts extra für die Trailer. Tanja bringt Croissants mit und die Touristen schauen staunend zu wie mein Kollege in die kurzen Hosen schlüpft.

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Eines noch zum Schluss: Spiekeroog mag zwar Kult sein, aber Andreas kann das toppen. Wer tauscht schon das vorgewärmte Zuhause ein gegen Aprilwetter, wenig Wind, das „Laramie“ bei Regen und einen klammen Neo? Es gibt nur wenige mit denen man zu zweit das Boot an Land tragen, die Starttaktik abstimmen kann, jemand der vor Untiefen auf der Regattabahn warnt und das Siegerbier auf der Sandbank teilt mit den Worten: „Du warst längst mal an der Reihe.“ Nächstes Jahr wieder. Dann wird auch wieder Kult-Wetter sein.

 

anD!RKen

(GER 2527 „Conspiratrice“)

PS:

Den Spiekerooger Segelclub (SSC) findet Ihr unter:

www.ssc-spiekeroog.de

Ebenso die Ergebnisse und bald auch ein paar Bilder.

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