Der letzte Tanz mit meiner Dame

Die Vorfreude steigt auf der nächtlichen Fahrt nach Schwerin, während der Verkehrsfunk von der Sperrung der Fehmarn-Sund-Brücke für leere LKWs berichtet. Es wird also Wind geben. Gut so, denn die Deutsche Meisterschaft von letzter Woche war nur ganz knapp dem Flautentot entronnen. Der knappe Termin nach der DM ist Ursache für geringere Meldezahlen als im Vorjahr, wobei es immer noch 20 Contender sein werden. Also mehr als 505er oder Korsare. Die Vorfreude steigt.

schwerin_2011_1_schloss.jpg

Samstag; nach einer kalten Nacht lockt der warme Frühstücksraum im Club-Restaurant. Die Steuermannsbesprechung ist unkompliziert: „Wer ist das erste mal hier und weiß nicht wo der Stein unter Wasser lauert?“. Die Startreihenfolge lautet Contender, 505, Korsar und dann so schnell es geht Neustarts der einzelnen Klassen. Auf dem ausgelegten Trapez bekommt jede Klasse ihren eigenen Kurs, was wenig Kontakte mit den anderen verspricht. Wir werden Trapez-Outer-Loop (wahlweise mit 1 oder 2 Loops) segeln und langer Zielkreuz zur (1). Da es weder Flagge „O“ noch „R“ gibt, sollen die Contender doch pumpen wie sie wollen. Wind ist ja genug. Obwohl man mit der Windrichtung blickt, kann man draußen Schaumkronen sehen. Wenn man sich da mal nicht täuscht – ich denke das sind nur die Möwen, die auf dem Wasser treiben.


Nun aber raus und „Contessa“ noch ein Wochenende lang „übers Parkett führen“. Der Blick von der Startlinie nach Luv lässt eine Menge mehr „Möwen“ entdecken zuzüglich aus dem Wasser ragende Schwerter, welche wahlweise von 1 oder 2 Personen begleitet werden. Ich dagegen freue mich auf meine schlaue Kostümwahl: Trocken-Neo mit Füßlingen und Vlies-Unterwäsche. Füße an Kopf: „Hier ist es schön warm und trocken. Wie sieht es da oben aus?“ Kopf an Füße: „Überall Möwen...“


Weniger gut sieht die Damengarderobe aus. Irgendwie scheint das Kleid primär seitlich zu ziehen und den Vortrieb zu vernachlässigen, so dass „Contessa“ eher stolpert als schwebt. Dabei ist das doch unsere Melodie, oder nicht? Später weiß die Orchesterleitung zu berichten, dass der absolute Top-Scorer in der Wertung der Blasinstrumente bei 30 kn lag. Das erklärt auch die geringe Anzahl von Tänzern.


Nun denn, irgendwann finden die Tonnen ihren Platz zwischen den Möwen und der Tanz beginnt. An der Luv-Tonne Andreas und Christoph vorne. Raumschots mache ich auf Carsten einiges gut. Vor der Outer-Loop-Lee-Tonne (3) bin ich bereits auf 3. Position. Hinter uns eine größere Lücke zu den Verfolgern. Jetzt nur nicht die Pirouette ver... Zack, bumm, zu spät! Das Parkett war wohl doch zu glatt für meine alte Dame. Die Haare werden naß und das Holzbein zeigt zu den Sternen – das wird dauern. Das Pulk fliegt heran und ich liege quer in der Einflugschneise, so dass Max cool sein Schätzchen übergeigt damit es um uns herum tanzen kann. Die zwei kleinen Outer-Loops geben kaum Möglichkeit an anderen vorbei zu tanzen. Erst der Endspurt korrigiert das Ergebnis ein wenig. Lächle und sein froh, denn es könnte schlimmer kommen...


Genug gelächelt. Das Horn bläst zum neuen Tanz und ich bin gut dabei. Christoph, Carsten, Andreas und David (super!) sind voraus als Michael und ich zum letzten Vormwinder abbiegen. Aber ich scheine nicht nur die Rechnung ohne den Koch gemacht zu haben, sondern auch ohne den plötzlichen Fanfarenstoß des Blasorchesters. „Contessa“ rutscht mal wieder aus und zieht mich mit in ihr Dekolleté – peinlich. Irgendwas reißt dabei. Aber es ist nicht das Kleid, sondern nur der Unterliek-Straps. Wir nehmen uns Zeit die Garderobe wieder zu richten während die Musik uns weiter in Tanzrichtung bläst. Auf Höhe der (3) finden wir uns wieder in den Takt ein: Haltung annehmen, rechtes Bein vor, dann ansetzen zur Linksdrehung – Stecher – noch mal die Linksdrehung ansetzen und diesen Tanz zu einem würdevollen Ende bringen. Letzter. Also gar nicht so schlecht im Verhältnis zur Meldezahl.


Ich habe seit ca. 1,75 Tänzen keine Lust mehr und nun auch noch einen notdürftig geflickten Straps, der das Kleid immer gleich aussehen lässt. Egal, dann konzentriere ich mich mehr auf die Musik. Dem Orchester geht die Luft aus und es wird zunehmend leiser. Die Tänzer bekommen ein Tonnenballett vorgeführt, so dass bei der (1) die Luft nach nassem Waldboden riecht. Ich versuche trotz enger Halsmanschette weiter Luft zu bekommen, bzw. bei Bewußtsein zu bleiben während „Contessa“ in ihrem Kleid einfach toll aussieht. So finden wir uns zur Zielkreuz überraschend in der Riesenlücke zwischen Überschall-Engel und Flautenfuchs-Billerbeck wieder. Ich frage mich warum Christoph nach rechts raus tänzelt? Aber ich habe mich heute schon ganz andere Dinge gefragt und stolpere hinterher. Max scheint sich seit längerer Zeit dieselbe Frage zu stellen und nicht beantworten zu können – Linksdrehung. Das Ballett hinter ihm tanzt fast synchron mit. Auch ich mache den Schwenk. Christoph folgt natürlich. Das Ziel liegt wie zuvor die Tonne (1) ebenfalls tief im Unterholz des Waldes. Das bringt mich dicht an Christoph heran, der knapp seinen dritten Laufsieg in Folge einfährt. Sehr knapp, denn kurz nach Zieldurchgang löst sich sein Knarrblock vom Schotturm.


Mit einem Schrick in der Schot (bei Christoph 1:2 ohne Klemme) folgt das Harbour-Race. An Land wird das Erlebte bei Schmalzbrot und Glühwein zum besten gegeben, was die Situation in der Dusche entzerrt. Zum Abendessen ein großartiges Buffet, danach Diashow und viele müde Gesichter.


Am Sonntagmorgen steckt jemand im Osten die Wolken in Brand. Der Wind hat stark nachgelassen und der See erscheint friedlich. Sehr schön aber auch saukalt. Der freundlichste Ort weit und breit ist am Frühstücksbuffet.

schwerin_2011_2_sonneauf.jpg

Jürgen verleiht sein Boot. Philipp hatte gestern vorm 1. Start nach dem Aufrichten statt Großsegel plötzlich einen Spinnacker, woraufhin der Mast seinen Dienst quittierte. Danach durfte er am Heck des Zielschiffes in der Angst leben, dass ihn jemand mit ins Ziel schubst. Aber so soll man keine Saison beenden, weshalb er nun die Tanzkarte von Jürgen bekommt.


Der Ballsaal ist voll, die Bläser im Orchester scheinen Asthma zu haben und es soll zu Anfang nur eine kleine Runde getanzt werden. Es geht los – Gesamtrückruf. Es geht wieder los mit Flagge „Z“, Start verhauen, fast noch das Pin-End berührt, keine Fahrt mehr im Schiff, aber irgendwann bin ich frei und links. Tief links. So weit links, dass es auch keinen Sinn macht den Fehler beheben zu wollen. Vorletzter nach der Startkreuz. Also mogeln wir uns so gut es geht durchs Feld. Ganz vorne will Max einen Outer-Loop mehr segeln als notwendig, was ihn nach langer Führung hinter Peter (Chapeau!) landen lässt.


Wieder Flagge „Z“ aber diesmal lasse ich mich nicht ärgern. Carsten will es versuchen, ich revanchiere mich, Christoph schaut interessiert zu, dann bin ich exakt am Pin-End mit Top-Speed – aber 3 Sekunden zu früh. Ich lasse das Pin-End an Steuerbord und versuche erneut mein Glück. Weil jetzt wieder die lange Bahn gesegelt wird, habe ich mehr Zeit mich durchs Feld zu arbeiten. Was vorne passiert, ist von hier aus nicht mehr ersichtlich.


Der Dirigent bläst sehr zeitig zum letzten Tanz, während ich noch das Eine oder Andere sortiere. Kein Blick für die Bahn, kein Blick für die Startlinie, keine Vorbereitung, einfach los. Die Kapelle bläst wieder etwas lauter und „Contessa“ schwebt dahin. Hoppla, erster nach der Startkreuz. Gleich mal den Michael zu fragen, ob wir wieder die lange Bahn segeln. Hinter mir formiert sich die Meute begleitet von den Richtern über Haltung und Taktgefühl. Es dauert nicht lange, da wird Christoph angerufen: „Eh, lass das!“ Man verlegt sich mehr aufs Schunkeln, denn aufs Herumwedeln. Auf der Kreuz im Outer-Loop wimmelt es plötzlich von Korsaren. Da ist man schon mal vorne und kann sich immer noch nicht frei bewegen! Später, auf dem Weg zur (4) ist der Wind gerade so, dass Christoph übers Parkett schweben kann und ich den Takt nicht richtig treffend ihn vorbei lassen muss. Er geht zum Finale links raus. Ich schmolle und bleibe erst mal rechts. Mal sehen wie Max hinter mir entscheiden wird. Der tänzelt eine Weile mit nach rechts und biegt dann doch nach links ab. Eigentlich verlässt man ja nicht die Kollegen aber da links habe ich Chance auf den 2. oder 3. Platz während rechts der 3. auch sicher ist. Außerdem möchte die Dame in meinen Armen die Chance auf den 1. haben. Also versuche ich Gentleman zu sein und ihr den Wunsch zu erfüllen. Michael und Carsten scheinen ähnliche Hoffnungen zu hegen. Anschlag rechts, Linksdrehung, rüber nach links und es passt wie Nutella zum Frühstück!

schwerin_2011_3_club.jpg

Das war mein letzter Tanz mit „Contessa“. Der Lutz hat sich nun in ihre Tanzkarte eingetragen. Die beiden passen auch vom Alter ganz gut zusammen. Ich wünsche Euch viel Taktgefühl und dass Euch keiner anrempelt.


anD!RKen (bald mit neuer Ballerina)